Triste Marie

Ablauf
Die Künstlerin geht in gemessenen Schritten durch die Altstadt des katalonischen Ortes Arles sur Tech. Sie trägt schwarze Kleidung und einen Spitzhut, der ihr Gesicht verdeckt. Diese Kleidung ist an die Figur des »Frere de la Sanch« angelehnt. In dieser Gegend laufen in der Karfreitagsprozession die Teilnehmer in einem Büßergewand mit ebendiesem Spitzhauben mit.Die Künstlerin »verliert« auf dem Weg zum Fluss Tomaten. Die Menschen, denen sie begegnet, versucht sie Tomaten zu überreichen. Sie steigt in den Fluss, verteilt die Tomaten um einen großen Felsen und zeichnet darauf die Konturen eines Mannes. Sie wechselt die Kopfbedeckung in einen schwarzen Schleier, den die assistierenden Mädchen ihr reichen.

Als »traurige Maria« zerschmettert sie die Tomaten auf dem Stein. Sie zieht die schwarze Kleidung aus. Darunter ist sie weiß gekleidet. Auf dem Stein spickt sie eine große Fleischtomate mit Spaghetti. Diese setzt sie sich auf den Kopf und zitiert damit die Corona der ortsüblichen Marienfigur. Diese Tomate zerdrückt sie sich auf dem Kopf und an der Brust. Sie wäscht mit dem weißen Schleier den gesamten Stein. Den Schleier hinterlässt sie auf dem Felsen und geht flussabwärts.


Konzept
Meinen dreiwöchigen Aufenthalt in dem Ort Arles sur Tech beschließe ich mit einer Performance, die Bilder aus der christlichen Tradition der Umgebung benützt. Die Figur des Bußgängers und der trauernden Maria (und ihre Verwandlung) sind für mich Personifikationen verschiedenen Stadien des Leidens. Die in schwarz eindeutig um den toten Jesus trauernde Maria scheint mir eine Figur dessen zu sein, das alles betrauert, was betrauerungswürdig ist. Indem ich vom Büßenden in Ihre Rolle schlüpfe, befreie ich mich von den Gefühlen, die Verluste, die ich erlitten habe, selbst verschuldet zu haben. Ich kann traurig darüber sein, es aber nicht mehr ändern. Ich nehme Abschied von Personen meiner eigenen Geschichte. Mit den Tomaten beschreibe ich existentielle, lebendige Dinge wie Gefühl, Nahrung, Liebe und Leben. Als Trauernde vernichte ich Lebendiges, Lebensnotweniges an einem unbeweglichen Stein. Erst als ich den Stein abwasche, entdecke ich Überreste des Lebendigen im Wasser schwimmen. Ich gehe in meinem weißen Kleid mit den wenigen geretteten Tomaten weg von der Trauerstätte und mache mich zu einem neuen Versuch auf.

Rituale vieler Gesellschaften werden in die nächste Generation übertragen, ohne dass ein genaues Wissen darüber weitergegeben wird, was sie bedeuten. Ebenso befremdlich ist es für Auswärtige, mit solchen Traditionen konfrontiert zu sein. Eigene Assoziationen steigen auf. Performancekunst ist für den Normalbürger ebenfalls oft kognitiv schwer verständlich. Um so stärker berühren jedoch die lebenden Bilder. Deshalb konfrontiere ich die Bürgerinnen von Arles mit ihnen bekannten rituellen performativen Figuren.

Gleichzeitig thematisiere ich mit der Figur des steinernen Mannes die Starre manche überlieferter Traditionen, Regeln und Gewohnheiten. Auch Traditionen können, wenn sie zurückgelassen werden, in anderem Kontext belebt werden. Verständnis, Hingabe und ein Betrauen der zurückgelassenen Werte ist ein Thema, über das ich in meiner Performance »Triste Marie« reflektiere.