Reise nach Jerusalem
Ablauf
Ich fordere die Besucher auf, »die Reise nach Jerusalem« (»musikalische Stühle«) zu spielen. Ich singe: »Wir reisen nach Jerusalem...«1 auf Deutsch. Willkürlich stoppe ich meinen Gesang und die Leute setzen sich. Mit dem Letzten spiele ich selbst eine Runde und da ich die Pause bestimme, gewinne ich.
Ich ziehe Schuhe Socken und T-Shirt aus und schmiere mir nacheinander Füße, Hände und Gesicht mit der Schuhcreme mit einer Bürste ein. Ich singe dabei ein afrikanisches Sklavenlied2. Fertig eingeschmiert tanze ich zögernd ein paar Schritte eines afrikanischen Tanzes. Breitbeinig auf dem Stuhl sitzend rasiere ich mir die Creme zuerst in der Form eines Vollbartes, dann in der Form eines Gesichtsschleiers ab.
Ich ziehe eine Wollmütze, die nur die Augen freilässt und eine Sonnenbrille auf. Dann nehme ich die Schuhe an den langen Bändern und gehe mit ihnen wie mit Marionetten »Rutz ben-Susi«3 singend aus dem Raum.
Konzept
Das Spiel – die Reise nach Jerusalem – ist ein starkes Beispiel für die Willkür bezüglich der Verteilung von Gewinnern und Verlierern. Besonders das Erobern des Platzes durch mich ist Zeugnis für Manipulation. Ich trage echte israelische Armeekleidung. Die Soldaten in Israel sind die »Kinder« der Israelis. Wie viel Manipulation ist das israelische Volk durch eine so große Stellung des Militärs im Familienleben ausgesetzt?
Mit der Verwandlung zu einem Schwarzen durch das fast schmerzhafte Einschmieren mit Schuhcreme, die durchaus zu Zwecken der Tarnung in der Armee benutzt wird, schlage ich ein Brücke zu Themen der Unterdrückung. Gleichzeitig werden Assoziationen zum Umgang und der Integration Schwarzer in die israelische Gesellschaft wach.
In der Rolle des männlichen Soldaten bei seiner Körperpflege nähere ich mich mit dem Genderdiskurs im Kontext von Armee und Emanzipation. In der Rasur, mit der ich z.T. wieder zur Weißen/zum Weißen werde wird die negative Maske einer Schleier tragenden Muslimin sichtbar. Verhüllung als Tarnung oder aus Angst davor Stellung zu beziehen?
Mit der Wollmütze und der Sonnenbrille in halb-Militär-, halb-Freizeit-Kleidung nähere ich mich dem Erscheinungsbild von Guerillakämpfern und militärischen Untergrundbewegungen an. Befreiung durch Kampf? Die Schuhe als Relikte des Militärs versuche ich wie Marionetten zu dirigieren. Kaum gelingt es mir, immer wieder muss ich sie zurückholen.
Relikte der Armee und Bilder des Machismus nutzend stelle ich Fragen nach Manipulation, Unterdrückung und Willkür in heutigen Gesellschaftssystemen. Sind Täuschung und Kampf Mittel der Unterdrückten oder Teil eines (Staats-)Apperates?
1 DeutschlandWir reisen nach Jerusalem und wer kommt mit,
die Katze mit dem langen Schwanz und die kommt mit?
Die Herkunft des Namens Die Reise nach Jerusalem ist ungeklärt. Manche vermuten sie in Reisen nach Jerusalem zur Zeit der für die europäischen Völker verlustreichen Kreuzzüge, andere vermuten den Ursprung in der Zeit der zionistischen Migration nach Palästina und dem begrenzten Platzangebot auf den Auswandererschiffen. (wikipedia)
2 Senegal
Iye imana kuruyo- allaha wahale,- wa leha kuroso sanuchonto (Wechselgesang; das Lied der Arbeit)
3 Israel
Rutz ben-susi Rutz udehar! Rutz babik’aa Tus bahar! Rutza tusa, Yom valayil —Parash ani Uven-hayil!
Laufe mein Pferd, laufe und galoppiere, renne durch die Täler, fliege über die Hügel. Renn und fliege, Tag und Nacht, ich bin ein Ritter und ein Soldat!
(Chaim Bialik)
Oktober 2012, Artport,
Studio Keren Anavi
Tel Aviv, Israel
Kurator: Varda Genosar
Performance: Dorothea Seror
Equipment:
7 Stühle, braune Schuhcreme, Schuhe und T-Shirt der israelischen Armee,
Armeehose, Spiegel, Rasiermesser
Photos © Keren Anavi