Im Rampenlicht

Körperbilder in Bewegung - ein multimediales Performancespektakel von Menschen mit und ohne Rollstuhl. In einem Grenzgang zwischen Unterhaltung und Störung präsentieren sich Körperbehinderte und FußgängerInnen mit dem ästhetischen Potential ihres So seins.

Als ideale Bühne für eine Art Schattenspiel präsentiert sich die Fassade der Ernst-Barlach-Schulen. Statt Treppen ziehen sich hier Rollstuhlrampen ähnlich einer riesigen Schusserbahn hinauf bzw. hinab und bieten Platz für ein ungewöhnliches Bühnenstück. Mit der Symbolkraft farbiger Beleuchtung wird Etage für Etage in verschiedene Szenen gesetzt und die gesamte Fassade von unten nach oben in die horizontal ansteigenden Bühnen »Unterwelt«, »Wald«, »Dorf« und »Himmel« aufgeteilt. Auf diesen Rampen inszeniert die Performancekünstlerin Dorothea Seror ein modernes Märchen. Akteure in diesem Stück sind Menschen mit und ohne Behinderungen. DarstellerInnen auf Rollstühlen mit bizarren Masken bilden geheimnisvolle Szenen, in Schattenspielen bietet sich dem Zuschauer auf dem Platz vor der Fassade ein verwirrendes Spektakel aus Spielen und Streiten und Locken. Aus surrealen Schauplätzen löst sich eine Hauptdarstellerin. Ihre Perspektive wird mit einer Kamera aus der Rampenbühne hinter der Fassade auf eine große Leinwand im Zuschauerareal übertragen. Stellvertretend für den Betrachter im Publikum sieht sie das Geschehen hinter der gläsernen Fassade. Verwirrend schön und mit einer ungewöhnlichen Ästhetik spielen Menschen mit und ohne Behinderungen mit ihrer ganz eigenen Körperlichkeit. Sie faszinieren mit dem Potential ihres »Andersseins« und lösen im Betrachter eine unendliche Liebe für ihre besondere körperliche Disposition aus.

Die Auflösung normativer Körperbilder ist das zentrale Anliegen der Performance-Künstlerin Dorothea Seror. In ihrem Bühnenstück »Im Rampenlicht« spielen Menschen mit Körperbehinderungen die Hauptrolle. Damit setzt sie auf ihre ganz eigene Weise das Postulat von Marcel Duchamp um, das davon spricht, dass »der kreative Akt nicht vom Künstler allein vollzogen wird«. Im nächsten Schritt ist es nur folgerichtig, dass sie auch das Publikum ins Geschehen einbezieht und diese selbst zu Akteuren werden lässt. Am Ende des Bühnenstücks sind die Zuschauer eingeladen, in die intime Sphäre der DarstellerInnen vorzudringen und selbst für die Dauer der eigenen Abfahrt im Rampenlicht zu stehen, oder vielmehr zu rollen. So entsteht auf beinahe magische Weise beim Zuschauer ein intensives Gefühl für Behinderungen, die nun viel mehr als für Einschränkungen für eine erweiterte Möglichkeit des Ausdrucks stehen. In der künstlerischen Inszenierung von Bewegung, Klang und Licht wird die Grenze von Normalität und Nicht-Normalität überschritten, die Erfahrung einer Entgrenzung lebensnah spürbar.

Mit großem Selbstbewusstsein haben sich die DarstellerInnen mit Behinderungen aus der Performancegruppe von Dorothea Seror in die Inszenierung des Bühnenstückes »Im Rampenlicht« engagiert. Diese Performance ist nicht das erste Stück, das sie mit der Performancekünstlerin Dorothea Seror erarbeitet haben. Intensive Theater- und Körpererfahrungen haben sie bereits früheren Produktionen wie z.B. »Aufgegangen« gesammelt. Gemeinsam mit Sabine Kuhn, die durch ihre jahrelange Arbeit mit Menschen mit Behinderungen sowie ihre Erfahrungen in der Theaterarbeit die Assistenz bei diesem Stück übernommen hat, ist hier ein einzigartiges Bühnenstück entstanden. Ein Bühnenstück, das nicht das Beschwerliche, sondern das Besondere thematisiert. Entstanden ist eine plakative Inszenierung mit überraschenden visuellen Effekten, quasi ein Plädoyer für die emotionale und physische Kontaktaufnahme zu Menschen mit besonderen Körpern.

Die Ernst-Barlach-Schulen als Aufführungsort bietet mit ihrem Rampen-»Treppen«-haus hinter der Glasfassade eine geniale Bühne für Serors Inszenierung. Durch die auf Sichtbarkeit der von der Architektengemeinschaft Reichert/Pranschke/Maluche angelegten Architektur des Gebäudes stehen hier vier übereinander angeordnete horizontale, ansteigende Spielebenen zur Verfügung, die das Auge einladen, dem Schauspiel abwechselnd oder gleichzeitig an vielen Stellen zu folgen. Die Freifläche vor der Fassade, die auch über etwas höher angelegte »Logen« verfügt, wurde von den Landschaftsrchitekten Jühling und Bertram bewusst als Publikumsplatz konzipiert. In der Planung des Petuelparks als Platz für Kultur für Menschen mit und ohne Behinderungen nimmt die Ernst-Barlach-Schule mit ihrer Rampenfassade mit Publikumsplatz einen besonderen Platz ein.